Das Bauernjahr (um 1930) Im Frühling, wenn der Wind die Felder vom Winter abgetrocknet hatte, haben die Bauersleute mit der Aussaat von Hafer, Gerste, Kartoffeln und Futterrüben begonnen (Roggen und Weizen wurden im Herbst des Vorjahres gesät). Es wurde Mist und Puddel (Jauche) auf die Felder gefahren, so hat der Bauer die Felder gedüngt. Kunstdünger ist nur selten verwendet worden. Eine Menge Nebenarbeiten waren immer wieder zu verrichten, wie z.B. auf den Wiesen die Maulwurfshügel auseinander machen oder auf den Kleeäckern die Steine lesen. Bei diesen Arbeiten mussten die Kinder immer mithelfen. Im Hausgarten machte die Bauersfrau die Aussaat. Auch da mussten die Kinder immer Hand anlegen. Zu dieser Zeit gehörte es in den Dorfschulen dazu, die Kinder für die Arbeiten in Feld und Garten zu unterrichten. Bei jeder Schule gab es einen Schulgarten, in dem die Kinder das Praktische lernen konnten, z.B. einen Baumschnitt machen. Bis alle Frühjahrsarbeiten getan waren, war es Ende Mai. Anfang bis Mitte Juni begann die Heuernte. Da hieß es dann für den Bauern und seine Helfer um 4 Uhr in der Frühe zu beginnen, in den Wiesen mit der Sense das taunasse Gras zu mähen. Bis es die Sonne mit der Wärme richtig gut meinte, musste die Wiese gemäht und das Gras gezettet (ausgebreitet) sein. Damit das gemähte Gras zu Heu wurde, musste es von Hand mit dem Rechen gewendet werden. War gutes Wetter, dann war es oft schon nach zweimaligem Wenden dürr und konnte mit dem Leiterwagen nach Hause in die Scheune gebracht werden. Kam aber in der Heuernte Regen, dann dauerte alles viel länger, und die Bauern hatten viel Arbeit mit dem Heu. Wenn man in dieser Zeit abends durch das Dorf ging, war überall ein helles Klopfen zu hören - die Sensen wurden gedengelt (geschärft) für den nächsten Morgen. Dieses Klopfen klang wie ein Lied, die Töne verbreiteten ein Gefühl von Geborgenheit in der Heimat. Zwischendurch wurden bei Regenwetter die Futterrüben und das Gemüse auf dem Acker angepflanzt. Hier war es dann umgekehrt wie bei der Heuernte. Hatte die Sonne zwei bis drei Tage auf die frisch gesetzten Pflänzchen gebrannt, dann waren sie vertrocknet. Es musste eine Menge ausgesetzt werden, oder man konnte alles noch einmal von vorn machen. Juli und August, das waren die Monate der Getreideernte. Es war ein ganz besonderes Gefühl, jeder hatte Ehrfurcht vor dem reifen Korn. Bei der ganzen Ernte wurde darauf geachtet, dass so wenig Körner wie möglich verloren gingen. Es waren viele Arbeitsgänge nötig, bis das wertvolle Getreide auf dem Speicher lag. Erst musste das Getreide gemäht, dann mit der Sichel aufgesammelt und zu Garben gebunden werden. Aus 11 Garben wurden Haufen aufgestellt (siehe Bild). So konnten der Halm und die Frucht richtig austrocknen. War das Getreide trocken, wurde es auf Leiterwagen geladen und nach Hause in die Scheune gebracht. Wenn die Dreschmaschine (s. Bild rechts) kam, musste alles wieder herausgeholt und in die Maschineeingelegt werden. Die hat dann der Weizen vom Stroh getrennt, und es konnten die vollen Säcke mit der Frucht auf den Speicher gebracht werden. Zum Dreschen brauchte man viele Helfer, also kamen die Nachbarn und Freunde. Das war echte Nachbarschaftshilfe. Es bestand aber die Pflicht, diese Hilfe zu erwidern. Der Dreschtag war ein harter Tag, aber auch ein Festtag, und für die Kinder ein freudiger, interessanter Tag. Zwischendurch gab es natürlich wieder Arbeit im Hausgarten. Die Beeren für Gelee und Marmelade mussten gepflückt werden. Himbeeren für Himbeersaft, eine ganz besondere Delikatesse, haben wir im Wald gesammelt. Der Garten spendete Salat, Bohnen, Gurken, nicht zu vergessen alle Kräuter und die bunten Blumen. Die Gartenarbeit lief das ganze Jahr nebenbei mit. War es September geworden und der Wind blies über die Stoppelfelder, dann begann die Kartoffelernte. Wir Kinder hatten Herbst- oder Kartoffelferien, also schulfrei und mussten tüchtig mithelfen. Ganz früher wurden die Kartoffeln alle ausgehackt. Später wurden sie mit dem Pflug ausgeackert. Standen am Abend viele volle Säcke auf dem Acker, dann war die Freude groß. Wir Kinder durften bei der Heimfahrt oben auf dem vollen Wagen sitzen. Die neuen Kartoffeln schmeckten gut, gekocht, gebraten oder als Pellkartoffeln. Es gab noch Milch, Quark oder Butter dazu. Da ist dann keiner hungrig zu Bett gegangen. Eine ganz besondere Freude für uns Kinder war das Kartoffelfeuer. In die Glut wurden Kartoffeln gelegt und gebraten. Die haben wir auf dem Acker gegessen. Wenn im Herbst überall die landwirtschaftlichen Arbeiten soweit getan waren, wurde die Kirmes gefeiert. In den meisten Gegenden war dieses ein großes Familien- und Gemeindefest. Es wurde geschlachtet, gebacken und gekocht, wie zu einem Hochzeitsfest. Im Oktober waren Äpfel, Birnen und Zwetschgen zu ernten. Es wurde Apfelwein und Apfelsaft gemacht und Honig geschleudert. Es gab alle Hände voll zu tun, die Früchte des Feldes als Vorräte für den langen Winter haltbar zu machen. Zuletzt sind die Futterrüben und das Gemüse vom Feld geholt worden. Das Weißkraut wurde zu Sauerkraut gemacht, und im November gab es meist schon das erste Schlachtfest. Wenn die Feldarbeiten abgeschlossen waren, gingen einige Männer in den Wald. Andere flochten Körbe und andere Dinge aus Weidenruten. Diese Arbeiten wurden entlohnt und was für die Leute auch wichtig war, sie waren der Sozialversicherung angeschlossen. Für die Frauen gab es viel im Haus zu tun. Es wurde gesponnen, gestrickt und geflickt, was während des Sommers liegen geblieben war. Die Männer machten an den langen Winterabenden Körbe, Rechenzinken und Reiserbesen. Das spielte sich alles in der Stube ab. Nach Weihnachten trafen sich die Leute, besonders die Jugend, in den Spinnstuben. Da ging es lustig zu. Es wurde nicht nur gesponnen, sondern auch gegessen, getrunken, gelacht und gescherzt und manche Liebschaft geschlossen. Quelle: Virtuelles Heimatmuseums Waldsolms